Das letzte Wochenende verbrachte ich auf einer geisteswissenschaftlichen Tagung zu den Effekten von Überwachung auf die Gesellschaft, zur Kultur der Überwachung und den Kulturprodukten, die daraufhin entstanden. Die literaturwissenschaftlichen Beiträge – welche nicht gerade unter einem Mangel an Komplexität litten – drehten sich um Eggers viel gelesenes, aber gern kritisiertes Buch The Circle, um die new sincerity movement oder auch der Observation in Hamlet. Aus der Populärkultur boten das Kino und der Rap interessante Positionen zur Überwachungsproblematik – schaut euch mal Big brother is wwwatching you von den Juice Rap News an, falls euch das nocht nicht begegnet ist.
Besonders beschäftigt hat mich der Einwurf, man müsse die Idee einer (schützenswerten) Privatsphäre von dem engen Fokus auf das Individuum lösen. Privatsphäre sei mehr als das Recht, allein gelassen zu werden, denn der Raum für soziale Interaktion ist ebenso schützenswert. Würde man das konsequent praktisch anwenden, könnte Niemandem mehr vorgeworfen werden, dass er/sie zu viel auf Facebook über sich preisgibt – eine Argumentation, von der auch ich in Vergangenheit schon gebrauch machte…
Mein Vortrag
Mein Beitrag handelte (noch einmal) von Surveillance Art – ich redete über zwei Werke von Trevor Paglen und Franz Reimer, über die ich schon in meiner Masterarbeit schrieb. Neu war das dritte Kunstwerk: „How Not to be Seen: A Fucking Didactic Educational .MOV File“ – eine 14-minütige Video-Arbeit der Berliner Künstlerin und Professorin Hito Steyerl.
Diese Arbeit begegnete mir schon auf diversen Ausstellungen zum Thema – und anfänglich fand ich es nahezu unerträglich: quitschig, überladen und irgendwie unzugänglich. Doch in der nächsten Ausstellung über Surveillance Art war es wieder da. Und in der nächsten wieder. Und wieder. Irgendwann find ich an, zu graben…
Ich recherchierte die photo calibration targets (dienten in den 1950er und 60ern dazu, analoge Luftbildkameras zu testen), die prädigitalen, pixelelartigen Flächen in der kalifornischen Wüste, die Steyerl als Szenerie benutzt. Diese Instanzen der Sichtbarkeit brachten mich auf die Idee, Wolfgang Isers Konzept der Leerstellen (dass mir schon an anderer Stelle gute Dienste geleistet hat) auf das Video anzuwenden. Man kann eine ganze Menge nicht-Informationen finden: vor allem die Menschen – die verschwunden, ausradiert, weggewischt wurden – wiedergeboren als Pixel, als weiße Umrissen in werbebunten Architekturanimationen. Menschen können andere Menschen verschwinden lassen – und sich dann millionenschwere gated communities entwerfen lassen, zwischen deren animierten Springbrunnen ausradierte Menschen umherwabern.
In einer Welt der total overvisibility ist es schwer, sich zu verstecken. Steyerl spielt schon durch ihre Wahl des Titels auf einen Sketch von Monty Python von 1970 an, in dem das Verstecken auch nicht besonders gut funktioniert.
Woher wussten man 1970, in welcher Ecke des Waldes sich ein Mensch versteckte? Heute würde man einfach sein Mobiltelefon orten. Kann man dagegen etwas tun? Steyerls „Tipps“ wirken auf den ersten Blick bestenfalls ironisch, doch es steckt etwas Wahres dahinter: wenn du kein Superheld (Hacker?) werden kannst, solltest du unauffällig sein: Nicht zu sichtbar, nicht zu unsichtbar – keine Abweichungen vom Durchschnitt, dann bist du unsichtbar.
Steyerls Auseinandersetzung mit Sichtbarkeit ist extrem dicht, vieldeutig, intensiv – und irgendwie gar nicht mehr unerträglich.