Für Giacomo Maihofers Artikel The Walking Data – Wie steht Kultur zur Vorratsdatenspeicherung? [3sat] schrieb ich einen kurzen Gastbeitrag, der irgendwie doch nicht ganz so kurz geriet. Weil er auf 3sat.de nur gekürzt erschien, veröffentliche ich hier die vollständige Variante.
Frage 1 – Die Vorratsdatenspeicherung ist eines der kontroversesten Themen unserer Zeit. Auf der einen Seite soll sie die Bürger vor Terrorismus und kriminellen Übergriffen schützen, auf der anderen Seite gilt sie als Eingriff in die Grundrechte des Individuums und der Privatsphäre: Worin sehen sie die größten Probleme und Gefahren der Vorratsdatenspeicherung?
Ein Problem mit der Vorratsspeicherung ist, dass ihre Wirksamkeit nicht hinterfragt wird. Meines Wissens lieferte bisher niemand auch nur einen halbwegs glaubhaften Beweis für die These, dass mit Überwachung und Datensammlungen terroristische Anschläge verhindert werden können. Einige Beispiele hingegen gibt es für unauffällige Ausdehnungen von Anwendungsbereichen für einmal vorhandenen Datenfundi in Firmen und Behörden…
Viel wichtiger ist aber, dass solche Datensammlungen gewaltige Machtfaktoren sind. Wer sorgt dafür, dass sie nicht missbraucht werden in einem Land, dessen Auslandsgeheimdienst nicht nur gegen die Interessen seiner Bürger, sondern sogar gegen die seiner Wirtschaft arbeitet?
Natürlich muss unsere Exekutive mit den notwendigen Mitteln ausgestattet werden, um die Bevölkerung zu schützen. Doch diese Mittel sollten immer auf ihre Wirksamkeit und vor allem auf ihre Auswirkungen auf unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung hin hinterfragt und im Zweifelsfall klar abgewiesen werden.
Frage 2 – Inwiefern gefährden staatliche Überwachung und Vorratsdatenspeicherung Kunst und Kultur?
Eine schwierige Frage, denn anders als in Orwells gern zitiertem ‚1984‘ gibt es keine klare Einteilung in ‚Gut‘ und ‚Böse‘. In unserer bunten Konsumwelt, in der Manipulation zum kleinen Marketing-ABC jeder Firma gehört und sozialer Status an Followerzahlen gemessen wird, ist es leicht, die allgegenwärtige, automatisierte Beobachtung als nebensächlich abzutun. Wer kennt schon jemanden persönlich, für den die Überwachung seiner Person zum Problem wurde? Hinzu kommt, dass es kaum sinnlich wahrnehmbare Instanzen von Überwachung gibt, wodurch sie für die meisten Menschen abstrakt und unwirklich bleibt. Medien dekorieren Überwachungsskandale mit gelben Kabelkneulen, weil wir so gut wie keine aussagekräftigen Bilder haben, die das Problem greifbar machen.
Trotzdem möchte ich zwei Punkte nennen, die relevant für die gesamte Gesellschaft und damit auch für Kunst und Kultur sind:
- Wir wissen nicht, ob diese Daten nicht morgen gegen uns verwendet werden. Aus Daten werden Informationen, Informationen sind Macht und große Machtkonzentration führt früher oder später zu Missbrauch. Auch wenn wir Deutschen überwiegend in einem verhältnismäßig verlässlichen Rechtsstaat hinein sozialisiert wurden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass dies noch 100 Jahre so bleibt, historisch gesehen wohl eher gering…
- Überwachung führt zu Konformitätsdruck und vorauseilendem Gehorsam, in wissenschaftlichen Studien “Chilling Effect” genannt. Dieser meist unbewusst ablaufende Effekt verhindert langfristig sowohl persönliche Identitätsbildung als auch politische Willensbildung, was in demokratischen Systemen bekanntermaßen ein wenig problematisch ist.
Der Bogen zu Künstlern und ähnlichen Personenkreisen ist einfach zu schlagen, denn diese gehören meist zu den ersten Betroffenen – als Opfer von Zensur oder sogar von strafrechtlicher Verfolgung. Außerdem haben sie die Mittel und Wege, auf diese Probleme aufmerksam zu machen.
Frage 3 – Müssen sich Kunst und Kultur stärker mit den Folgen und Entwicklungen der modernen Überwachung auseinandersetzen? Und wenn ja: Wie sollte diese Auseinandersetzung aussehen? Was kann die Kunst tun?
Es liegt mir fern, Künstlern zu sagen, womit sie sich beschäftigen sollten. Und es gibt ja schon eine ganze Menge künstlerischer Positionen zu Überwachung – von Trevor Paglen, Ai Weiwei, Banksy, Omer Fast, Marina Abramović… die Liste ließe sich noch eine ganze Weile fortsetzen und zumindest hierzulande gab es in den letzten zwei Jahren auch diverse Ausstellungen und Projekte zu dem Thema. Künstler beschäftigen sich mit der unsichtbaren Macht von ‚Big Data‘ und automatischer Gesichtserkennung, mit Julian Assange und Edward Snowden, mit der NSA und Facebook. Sie beobachten und analysieren die kaum überschaubaren Überwachsstrukturen und suchen nach den wenigen verbliebenen Stellen, an denen wir nicht überwacht werden können.
Natürlich gibt es noch eine ganze Menge Raum für weitere Positionen, kreativen Protest und konstruktive Vorschläge. Wichtig wäre zum Beispiel, Bilder und andere Vermittlungsformen zu finden, welche die Problematik für möglichst alle Bevölkerungsgruppen greifbar machen. Hier brauchen wir neue Darstellungsarten und Ideen, welche ein Bewusstsein der Überwachungsproblematik im Alltag schaffen und im Idealfall zur Veränderung von Gewohnheiten wie dem Versenden unverschlüsselter Mails bewirken.
Wir werden die Entwicklung zur Überwachungs- und Kontrollgesellschaft, die Michel Foucault schon 1975 beschrieb, nicht aufhalten können. Doch wir können die Verteilung von Informationen und damit die Verteilung von Macht verändern. Wir können uns bestimmte Rechte an unseren Daten zurückholen und den Handlungsspielraum von Geheimdiensten und Firmen beschränken. Die Kunst kann ein Teil davon sein, als Ideengeber, als Kommunikationsform – oder als etwas, an dass bisher noch niemand gedacht hat.