Surveillance Art und die fehlende Ästhetik der digitalen Massenüberwachung [Vortrag #rp15]

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Vorgetragen auf der re:publica 2015 | nachträgliche Änderungen am folgenden Transkript: Konkretisierung einzelner, sprachlich unsauberer Formulierungen & Entfernung diverser Füllwörter

Ich spreche über Surveillance Art und die fehlende Ästhetik der digitalen Massenüberwachung. Mit Surveillance Art meine ich Kunstwerke, die sich mit Überwachung beschäftigen und mein Fokus liegt auf der politisch motivierten Massenüberwachung. Das heißt, ich klammere die wirtschaftlich motivierte und die sozial motivierte Überwachung weitgehend aus.

Es gibt schon seit diversen Jahren ein paar dutzend Künstler und Künstlerinnen in Europa und Amerika, die sich damit beschäftigen. Seit Snowden gibt es auch zunehmend mehr Ausstellungen zu diesem Bereich – und so bin ich auch zu dem Thema gekommen.

Ich habe meine Masterarbeit über vier Künstler geschrieben, die sich mit Überwachung beschäftigen. Zwei davon werde ich Euch kurz vorstellen, anschließend gibt es eine kurze Reise in die Welt der Ästhetik, insbesondere in das Konzept der Leerstellen. Anschließend versuche ich zu erklären, warum ich dieses Konzept auch für Nicht-Kunst-Bilder für relevant halte.

Anfangen möchte ich mit:

Trevor Paglen.

Einem Fotograf, Geograf und investigativer Sachbuchautor aus den USA. Trevor Paglen ist einer von den Menschen, die schon mal nach Afghanistan reisen und dort Bilder von offiziell inexistenten Gefängnissen der CIA machen – zum Beispiel dieses  ungefähr 100 km nordöstlich von Kabul.

Ich möchte über eine Fotoserie reden – Limit Telephotographie – in der es um die Grenzen des Erkennbaren, des Fassbaren, des Visualisierbaren geht. Was ist auf diesem Bild sichtbar?

Trevor Paglen | Workers, Gold Coast Terminal, Las Vegas, NV Distance – 1 mile, 2007

Wir haben drei Menschen, die aus einer kleinen Maschine steigen – es ist noch eine weitere Maschine angeschnitten. Aber das Flugfeld ist weitgehend leer. Die Drei sehen total normal aus – laufen in kurzer Hose und T-Shirts rum. Das Bild ist etwas unscharf. Das liegt nicht an dieser Abbildung, sondern auch das Original ist unscharf aufgrund der Entfernung – es ist nämlich aus ungefähr 1,4 km Entfernung aufgenommen, und zwar aus dem Hotel, dass dort oben markiert ist.

Trevor Paglen saß eine Woche lang im 18. Stock vom Topicana Las Vegas und hat diesen Bereich dort unten beobachtet. Es gibt Listen von nahezu allen Flugzeugen, die irgendwo landen und irgendwo wieder hinfliegen. Das ist vollständig dokumentiert und man kann auch als normaler Mensch darauf zugreifen. Es gibt nur wenige Flugzeuge, die dort nicht dokumentiert sind und dadurch fallen diese natürlich auf. Das heißt, Trevor Paglen hat sich hingesetzt und beobachtet, welche von diesen Flugzeugen, die dort abheben, sind nicht in diesen Listen.

Und die hat er sich genauer angesehen. Einige sind zu Orten wie dem CIA-Gefängnis geflogen, dass ich am Anfang erwähnte. Er hat ein Sachbuch über die sogenannten „Folterflüge“ geschrieben, die inzwischen ein Thema sind. Damals, als er anfing, sich damit zu beschäftigen, war das noch kein Thema.

Aber diese Flugzeuge fliegen auch an andere Orte: Detachment 3 ist ein ganz kleiner Teil eines militärischen Sperrgebiets in Nevada, dass in etwa so groß ist wie Brandenburg. Man weiß von einigen Teilen, was dort stattfindet – von anderen weiß man es nicht. Trevor Paglen beobachtete, dass diese Flugzeuge dort hinflogen. Sie brachten Arbeiter dort hin – wie die Workers, die wir am Anfang sahen.

Und auch das zweite Bild ist sehr unscharf – und das ist diesmal aus knapp 40 km Entfernung aufgenommen, weil man natürlich auf dieses Gebiet selber nicht drauf kommt.

Trevor Paglen | Detachment 3 – Air Force Flight Test Center | Groom Lake, NV, Distance ~ 26 miles, 2008

Das heißt, Paglen ist auf den nächstmöglichen Berg geklettert und hat von dort aus über Jahre immer wieder versucht, Fotos davon zu machen und hat seine Kameraausrüstung auch immer weiter entwickelt, um überhaupt etwas aufnehmen zu können. Denn da ist mehr Atmosphäre, mehr Staub zwischen Kamera und Motiv als bei einer Astrophotographie.

Und das dritte und letzte Bild, dass ich Euch von ihm zeigen möchte, ist so schwammig, so unscharf, dass kaum noch zu erkennen ist, was dort drauf ist. Eigentlich sieht das überhaupt nicht mehr wie eine Fotografie aus, sondern wie eine Mischung aus einem Seestück von Turner – also einer Ölmalerei – und der abstrakten Farbfeldmalerei von Mark Rothko.

Präsentation von Ines Dorian Gütt auf der re:publica 2015 | Foto von @DieUlrike

Präsentation von Ines Dorian Gütt auf der re:publica 2015 | Foto von @DieUlrike

Und das ist kein Zufall – denn einerseits ist Paglen kunsthistorisch sehr bewandert und auf der anderen Seite geht es ihm nicht darum, Dinge scharf darzustellen. Also er versucht nicht, ein Haus, wo geheime Dinge drin passieren, zu zeigen – sondern er versucht, das Geheime an sich zu zeigen. Er versucht mit dieser Unschärfe zu visualisieren, dass Dinge gleichzeitig sichtbar und geheim seien können – dass sich das nicht ausschließt.

Die Unschärfe wird zum Symbol.

Auch bei meinem zweiten Künstler geht es um Visualisierung – um Sichtbarkeit. Kommt irgendjemandem dieser Raum bekannt vor?

[Nicken in den vorderen Reihen] Sehr gut! Den Letzten vermutlich ungefähr jetzt:

Pete Souza | The Situation Room | White House, Washington 2011

Franz Reimer

… hat den Raum auf dem Bild von Pete Souza nachgebaut. Das ist das Foto, das entstand, als Obama und sein Sicherheitsstab am 1. Mai 2011 die Tötung von Osama bin Laden live verfolgten. Dieses Bild ist wahnsinnig viel diskutiert worden, deshalb habe ich gar nicht vor, viel dazu zu sagen. Nur zwei Punkte:

Erstens machen wir in diesem Moment genau das gleiche, wie die Personen auf dem Foto. Wir kucken auf einen Monitor – wir sitzen ganz passiv. Das sind die Aggressoren, aber man sieht sie total passiv dargestellt. Das heißt, es findet eine Übertragung statt, auf die Betrachter des Bildes. Und vorne ist auch noch Platz für uns. Das heißt, wir könnten uns – symbolisch gesehen – mit an diesen Tisch setzen.

Gaddafi | Foto Mohamed Messara/EPA

Oh, ja – ich wollte auch noch erzählen, dass es interessant ist, was das Bild eben nicht zeigt. Dass es eben nicht den Einsatz zeigt und nicht den Toten zeigt – wie man das bei anderen Gelegenheiten gern gemacht hat – sondern das den Fokus auf die „Beschützer der Nation“ legt.

Zurück zum Situation Room von Franz Reimer.

Franz Reimer | The Situation Room

Was Reimer macht, ist, er gibt uns einen Raum, wo wir uns tatsächlich in diese Situation hineinbegeben können. Er gibt uns die Möglichkeit, uns auf den Stuhl des Generals zu setzen und darüber nachzudenken: „Was hätten wir an seiner Stelle gemacht?“ oder auch: „Was haben die eigentlich gesehen?“

Denn – das ist Punkt zwei – das Interessante an dem Bild sieht man nicht! Das, worauf alle konzentriert sind – der inhaltliche Fixpunkt ist außerhalb des Bildausschnittes. Das visualisiert Reimer, indem er das Bild spiegelt. Vor der Installation steht eine Kamera, der aufnimmt, was sich gerade innerhalb des Raumes abspielt und spiegelt es live auf den Monitor.

Das ist für mich vor allem interessant unter dem Aspekt der Leerstellen. Es gibt eine Nicht-Information und auf die wird hingewiesen – auf die Leerstelle wird hingewiesen – durch die Spiegelung.

Und damit möchte ich einen kleinen Bogen schlagen über die:

aesthetik400Ästhetik

Man kennt Ästhetik aus dem allgemeinen Sprachgebrauch als etwas Ansprechendes, Schönes. Aber eigentlich steht das Wort für alles, was unsere Sinne wahrnehmen können. Also auch für Sachen, die unansprechend sind, die schlecht riechen, die flauschig sind, die hart sind. Ästhetik ist die Lehre der sinnlichen Wahrnehmung.

Das nehme ich jetzt alles zusammen. Alles, was unsere Sinne wahrnehmen können, addieren wir mit dem Rezipienten – dem individuellen Gehirn von einem Rezipienten, in dem bestimmte Dinge schon angelegt sind. An Erinnerungen, die wir schon haben, werden aktuelle Wahrnehmungen angeknüpft. Und dann sind wir in etwa bei der…

Rezeptionsästhetik

…, die sich mit zwei Fragen beschäftigt. Nämlich:

  1. Wie wirkt etwas auf den Rezipienten?
  2. Wie viel dieser Wirkung ist bereits in diesem Etwas angelegt? Es kann ein Kunstwerk sein, es kann sich dabei aber auch um einen Kran handeln oder eine beliebige Präsentation. Und wie viel kommt vom Rezipienten selbst? Wie viel ist schon in uns drin?

Für Kunstbilder ist das natürlich relevant. Und ich glaube, dass es auch für nahezu jeden anderen Bereich relevant ist, weil man damit untersucht, wie wir unsere Welt sehen. Klar sehen wir sie alle ein bisschen unterschiedlich, aber es gibt Tendenzen, die wir teilen.

applesUnd wir lernen auch abstrakte Konzepte über Visualisierungen. Wir haben alle darüber zählen gelernt. Inzwischen sind Zahlen für uns etwas ganz Normales, mit dem wir umgehen können, ohne uns Äpfel zu visualisieren. Aber diese Zwischenschritte gehen ganz oft über Sachen, die unsere Sinne wahrnehmen können.

Und dann komme ich zu der Frage:

Welche ästhetisch wahrnehmbare Instanzen von Überwachung gibt es eigentlich?

Dazu würde ich gern ein kleines Experiment mit Euch machen.

Stellt Euch ein Bild zur Klimaerwärmung vor.

Wir wissen, die Pole schmelzen ab.

Wir wissen, Tiere verlieren ihren Lebensraum…

 

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Könnte in etwa so ausgesehen haben:

Kontext Klima: Kleine Eisscholle = schrumpfender Lebensraum = Klimaerwärmung ist ein Problem!

Dieses Bild stellt keine Klimaerwärmung dar – es ist keine drauf, weil das überhaupt nicht geht. Aber man kann mit sehr, sehr wenigen Punkten eine direkte Assoziationskette von den Kontext Klimaerwärmung zu diesem Bild ziehen.

 

 

Und jetzt versucht das mal mit Überwachung.

Versucht das mal mit der Nachricht, dass der BND massenhaft Daten an die NSA weiterreicht.

 

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Foto picture alliance, dpa | Aufgenommen im DE-CIX

Das Bild nutzen große Tages- und Wochenzeitungen spartenübergreifend in ihren Onlinevarianten. Ich nehme es, weil es besonders drastisch ist.

Sie können ja mal kurz Versuchen, dazu eine Assoziationskette zu Überwachung herzustellen. Ich glaube, bei den meisten Leuten sieht die ungefähr so aus:

Viele Kabel
= … ? Technik ?!?
= /o\

Und ich hätte auch noch diverse andere Bilder nehmen können – vielleicht wären die ein bisschen vielsagender. Aber keines davon kommt auch nur annährend an unseren Eisbären heran. Das heißt, es gibt eine große ästhetische …

Leerstelle

… in der Diskussion um Überwachung. Und eigentlich können Leerstellen wahnsinnig effektiv sein. Sie begegnen uns überall. Ständig. Wir sind gewohnt, damit umzugehen. Ein klassisches Beispiel: die intensivsten Szenen eines Horrorfilms sind die, wo ich nichts sehe. Das gruseligste Gesicht, was uns einfällt, ist eines, das zu mindestens zwei Dritteln verdeckt ist. In der Kunst wird das auch schon seit Jahrhunderten eingesetzt. Wenn man zeigen möchte: Franz von Assi hat eine Vision – Vision kann man nicht zeigen. Aber man kann die Leerstelle, die es dort gibt, visualisieren, indem man einen Engel dort einsetzt.

Ich habe ein paar Leerstellen schon angedeutet, als ich die Kunstwerke vorgestellt habe. Es gibt neben dem Monitor noch einige andere bei Franz Reimer – unter anderem die schwarzen Laptopmonitore, die verpixelten Papierblätter, die schon bei Souza angelegt sind und die leeren Stühle natürlich auch, weil sie für etwas stehen, das nicht da ist.

Die Unschärfe hatte ich bei Paglen genannt. Aber auch bei ihm gibt noch mehr, nämlich den Abstand zwischen dem eigentlichen Bild, das wahnsinnig unpräzise ist, und dem sehr präzisen Titel. Und die Leere des Bildes kann man natürlich auch noch mit dazu zählen.

Das heißt: Leerstellen können effektiv sein. Sie machen etwas mit uns – sie machen uns zum Teil von etwas – dadurch, dass unsere Fantasie bestimmte Dinge ergänzt, kommt etwas näher an uns ran, spricht uns emotional eher an.

Aber das funktioniert nur bis zu einer bestimmten Größe. Und das Kabelbild liegt weit außerhalb davon…

Also habe ich mich mit der Frage beschäftigt:

Braucht die Diskussion um Überwachung mehr ästhetische Vermittlung?

Ich bin der Überzeugung: ja, braucht es!

Kann Kunst uns da helfen?

JEIN – natürlich kann man bestimmte Ideen von dort übernehmen. Man kann mal versuchen, das Konzept der Unschärfe in irgendeinem Nachrichtenartikel zu verwursten, wenn man bewusst damit umgeht. Vielleicht funktioniert das mal – aber es ist keine Lösung.

Und das liegt daran, dass das Problem nicht im Feld der Kunst entsteht. Das Feld der Kunst kann damit arbeiten, es kann versuchen, verschiedene Ideen als Lösungsansätze anzubieten, aber es kann keine Lösungen anbieten. Denn diese müssen dort gefunden werden, wo das Problem entsteht:

In unserem Alltag.

 

Es folgten noch knapp 5 min öffentliche Frage- und Diskussionsrunde,
die im Video und in der Audioaufzeichnung zu finden sind.
Wer diese in kleinerem Rahmen fortsetzen möchte,
kann mir gern mailen oder twittern.

Apropos Twitter, zum Abschluss gibt’s noch ein paar Tweets von Besuchern. Toll, dass ihr da wart bzw. dass ihr hier seid!